Der Kurt-Schwitters-Preis der Niedersächsischen Sparkassenstiftung geht 2013 an die Konzeptkünstlerin Sturtevant. In der Begründung heißt es, dass sie trotz Widerstände zentrale Begriffe der künstlerischen Moderne unterlaufen habe.
Woran erkennt man Fortschritte im Denken? Vielleicht wenn Kunst zwei Jahrzehnte lang gegen Anwälte zu verteidigen war, ein Jahrzehnt ruhte und dann über zwei weitere Jahrzehnte abgegrenzt werden musste – damals vom Erfolg der Appropriation Art der New Yorker Szene Ende der 80er Jahre.
Nein, Sturtevant war keine Trittbrettfahrerin, obwohl ihr gar die Lokomotive des Appropriate-Zugs angeboten worden war. Vielmehr nutzte sie deren Verneinung, um einen Zugang zu ihren eigenen Arbeiten aufzuzeigen. Während Appropriate-Künstler wie Sherrie Levine mit Strategien politischen oder feministischen Inhalts die Werke anderer Künstler bewusst kopierten, sind die Arbeiten der Sturtevant nicht als Kopien, sondern als Wiederholungen zu verstehen.
In einem Ausstellungskatalog schreibt sie der Wiederholung eine große Kraft zu, um Situationen unterscheidbar zu machen. Die Nachahmung hingegen sieht sie bei Andy Warhol, dessen Werke sie neben denen von Jasper Johns, Robert Rauschenberg oder Roy Lichtenstein für ihre Wiederholungen wählte: »Ich kam darauf, dass man ein anderes Kunstwerk als Ausgangspunkt nehmen und damit nicht nur die Repräsentation, sondern auch das Gerede über die der Kunst zugrunde liegende Struktur über den Haufen werfen konnte.«
In einem Interview mit Tony Benn betont sie, dass die Wiederholung ein Werk von seinem Ursprung distanzieren und zugleich weiter entwickeln würde. Dabei gehe es ihr nicht um eine Veränderung des Objekts, sondern um eine Veränderung der Denkweise. Als Ergebnis ihrer Arbeit stehe das Denken da und nicht die sichtbare Oberfläche.
»Meine Arbeit ist die Unmittelbarkeit eines augenscheinlichen Inhalts, der bestritten wird .« Und: »Die Dynamik des Werkes besteht darin, dass es die Repräsentation hinauswirft.« Und: »Der Mensch ist Double. / Der Mensch ist Kopie. / Der Mensch ist Klon. / Der Mensch ist entbehrlich. / Der Mensch ist entsorgbar. / Das Double ist original. / Die Kopie ist original. / Das Bild ist Ursprung. / Wir sind hier also am anderen Ende der Ursprünge, / bei unserem radikalen Denken des Seins, / das radikal original ist.«
Ab der Jahrtausendwende verlegte sie ihre Schwerpunkte in die Bereiche Video und Film sowie großer Installationen und theatralischer Inszenierungen. Im Juni 2011 wurde ihr Lebenswerk mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Im September 2013 wird die Verleihung des Kurt-Schwitters-Preis mit einer umfangreichen Ausstellung im Sprengel Museum folgen.
Wie ist das möglich? Das Werk der Sturtevant hat sich nicht verändert. Nur die Zeit, in der es betrachtet wird, ist eine andere geworden. Sie selbst verweist auf das Begriffspaar Kybernetik und Rückkopplung, das schon immer Thema ihrer Arbeit gewesen sei, aber erst für unser digitales Zeitalter, das sie als eine kybernetische Lebensart bezeichnet, zugänglich geworden sei.
Ihre Ideen, das Urheberrecht, den Ursprung und das Ich durch das künstleriche Motto der Wiederholung zu ersetzen, waren ihrer Zeit, den 60er Jahren weit voraus. Andere Ansätze einer Auflösung unserer objektiven Realität in einem System von Rekursionsprozessen gab es etwas später Anfang der 70er zu entdecken: Sowohl Fassbinders Institut für Kybernetik und Zukunftsforschung als auch Heinz von Forsters intellektuelle Idee einer Beobachtung der Beobachtung haben mir bei meiner Betrachtung Sturtevants zur Seite gestanden.
#clapf
Bildliche Inspiration: Warhol, Duchamp, Lichtenstein …? Nein. Sturtevant, art, Dezember 2012
Inhalt und Zitate: Portrait Sturtevant