Berlin II: Brecht wartet vor Am Zirkus 1 auf Kapital und Peymann lässt telefonieren

Die Insolvenz der Berliner BSS Beton-System-Schalungsbau GmbH hat das Hysteric Wonderland Bauprojekt an Berlins wohl prominentester Adresse zum Stillstand gebracht. Der Ort für Kapitalismuskritik ist Geisel einer Baustelle und der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, lässt durch einen seiner Angestellten nachfragen, wie es ohne Kritik weiter gehen soll.

Brechtsculptur auf einer Baustelle

warten auf Kapital

Die Wegsperrung Bertold Brechts hinter einen Bauzaun ist ein schönes Bild dafür, wie es heute um Kapitalismuskritik steht. Sie ist nicht etwa tot, sondern ihr fehlt schier das Kapital. Die Gedenktafel mit dem legendären Zitat, dass Kunstgenuss ohne eine kritische Haltung nicht möglich sei, erinnert zwischen Baucontainern und Schutt an ein altes Ofenrohr, das vermeintlich nur noch Schrottwert hat. Wenn mit Brecht das Wort des Dichters nicht heiliger sei als wahr, liest sich die Wahrheit des Brecht-Platzes wie eine Kritik an der Kritik. Diese Absurdität würde den Müllplatz mit Luxusbauruine im Hintergrund zu einem interessanten Spielort werden lassen.

Und das Berliner Ensemble? Das habe ich einst schon von Weitem gesehen. Wenn ich heute an der Friedrichstraße aussteige, engt da die Ernst & Young Gruppe mein Blickfeld ein. Ich ärgere mich, weil das Berliner Ensemble längst nicht mehr das wichtigste Gebäude am Schiffsbauerdamm ist. Die einst so vielen Freiflächen für Gedanken und Fantasie verschwinden und da wo früher einmal Wandel und Dunkelheit waren, ist heute moderne City-Architektur gewachsen. Nein, ich habe nichts gegen Geld und Stil, aber ich habe etwas gegen Orte, die sich nach innen verschließen, ohne nach außen zu kommunizieren. Keine Sitzbank, kein Imbiss, keine Interaktion und kein Verweilen – sauber ist es geworden, ja.

Der Bauarbeiter, den ich bei dem Bertold-Brecht-Müllplatz treffe, erzählt, dass der Platz wieder hergestellt werden soll. Der schwer an seinem Instrument schleppende Cellist schüttelt im Vorbeigehen den Kopf. Er lacht hämisch, als ob dort bald ein Yoo-Berlin Platz entstehen sollte, das BE als Veranstaltungsort für Incentives vorgesehen wäre und Dieter Bohlen als heimlicher Nachfolger Peymanns gehandelt. Absurd?

Noch scheint alles möglich an diesem Platz, an dem Patienten wie Bernhard bald wieder in einem tatsächlich kontrapunktisch genial entworfenen Rhythmus in beginnende Abende hinaus husten dürfen. Ich sehe ein Luxussanatorium, davor eine öffentliche Spielfläche und daneben das neobarocke Bühnenhaus mit Erinnerungsfetzen an Kritik. Doch ja, die Geduld des Pflegepersonals wird in den Metamorphosen Berlins auf die Spitze getrieben. Mal entpuppen sich Motten mal Schmetterlinge.
#clapf

Zitate: Berthold Brecht, Stücke VI und Thomas Bernhard,Wittgensteins Neffe. Eine Freundschaft

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